Yoga chitta vritti nirodha
- Ray
- Feb 23, 2024
- 6 min read
Updated: Mar 29, 2024
Yoga - verbinden
Chitta - Bewusstsein
Vritti - fließen
Nirodha - kontrollieren
In diesem Blogbeitrag werde ich intensiver über meine Zeit in der im Januar 2024 absolvierten Yoga-Lehrer*innen-Ausbildung auf Koh Phangan reflektieren.
Yoga bedeutet die Beruhigung unserer Gedanken oder das Kreisen der Gedanken zu kontrollieren. Wenn ich eine Sache in Thailand gelernt habe, dann diesen Satz. Habe ich gelernt meine Gedankenkreise zu beruhigen? Ein wenig und ich habe gelernt, wie ich damit anfangen kann.
Habe ich gelernt meine Gedanken zu kontrollieren? Ich habe vor allem gelernt meine Gedanken und Gefühle intensiv zu beobachten.
Wenn Menschen sich auf etwas so richtig einlassen und sich verpflichten etwasi einen Monat lang jeden Tag 12 Stunden lang zu tun, geraten sie idealerweise in einen „Flow-Zustand“.
Flow-Zustand bezeichnet einen Zustand in dem wir das Gefühl haben mit einer Aufgabe zu verschmelzen. Die Vergangenheit und Zukunft sind nicht mehr von Relevanz. Was in diesem Zustand zählt ist einzig und allein der Moment. Im besten Fall verspüren wir in diesem Moment ein Gefühl der Glückseligkeit und eine extrem hohe Selbstwirksamkeit. Außerdem das Gefühl etwas bewirken zu können. Ich nehme es als meditativen Zustand wahr.

Jeder Tag begann für mich mit dem Sonnenaufgang gegen 6:15 Uhr und meistens begrüßte ich diesen in der Sky Shala über dem Camp mit einer Tasse frisch aufgebrühten Olong Tee.
Danach hatten wir von 7:00-9:15 Uhr je nach Tag eine Vinyasa, Ashtanga oder Slow Flow Klasse, außer am Sonntag: unserem einzigen freien Tag.
Nach der morgendlichen Yoga Klasse waren alle immer halb verhungert und es gab Frühstück und anderthalb Stunden Pause.
Danach war der Tag immer dicht getaktet: 11:00-13:30 Uhr hatten wir ‘Pose Clinics’, in welchem wir vor allem Lehren lernten, aber im Laufe der Zeit auch sehr viel selber praktizierten. Nach dem Mittagessen folgte entweder Philosophie oder Anatomie von 14:30-17:00 Uhr. Dies wechselte täglich.
Der Tag endete mit einer ruhigeren Yoga Sequenz um 18:15 Uhr. Das konnte entweder Yin, Restorative oder Nidra Yoga sein. Wir praktizierten aber auch intensiv Pranayama und erforschten unsere Stimme im Chanting. Einen Tag in der Woche schauten wir bis spät abends einen Film, welcher mit der Geschichte oder Philosophie des Yogas zu tun hatte.
Es ergab sich mehr und mehr, dass ich meine Abende und Nächte nach dem Training mit meinen Mitschüler*innen verbrachte. Wir aßen jeden Abend gemeinsam und manchmal gingen wir auch aus. Koh Phangan bietet extrem viele Möglichkeiten: von spirituellen Zeremonien, über Konzerte bis hin zu wilden Partys gibt es für jede Person individuellen Input.

Das habe ich sehr genossen und es ergänzt und bereichert die Ausbildung. Aber was mich vor allem bereichert hat, sind die Menschen mit denen ich diese Reise angetreten und durchlebt habe. Jeden Tag kurz nach dem Morgengrauen aufeinander treffen, sich mit müden Augen und einer wilden Bett-Frisur anblinzeln. Zusammen schwitzen, leiden, an die persönlichen Grenzen kommen und dann am Ende über sich hinauswachsen.
Die Menschen um mich herum haben mir gezeigt, dass es geht und ich habe es mir dann auch gezeigt. Über den Tag ganz eng zusammen zu sein und auch körperlich sehr nah miteinander zu arbeiten, schweißt zusammen.
Manchmal kaum die Augen aufhalten können in Anatomie oder Philosophie, weil nichts mehr rein geht ins Gehirn? Sorgte für Lacher am Abend.
Abends dann so erledigt sein, dass ich denke ich kann keinen Meter mehr machen, aber kurz bevor ich ins Bett falle, fragt irgendjemand aus der ‘Gang’ (wie wir uns liebevoll genannt haben): ‘Heut Abend Dampfbad?’ Ihr fragt euch jetzt sicher, wie Menschen im 35-Grad heißen Thailand nach einem 12-Stunden Tag in einen noch heißeren Raum gehen wollen, der stockfinster und voller Dampf ist.
Es ist tatsächlich extrem angenehm und kann vor allem bei mir starke Anspannung lösen.
Danach sind wir, wenn es möglich war, ins Eis-Bad gesprungen und haben uns gegenseitig versucht zu motivieren so lange wie möglich drin sitzen zu bleiben. Im Eisbad dachte ich, dass meine Gliedmaßen absterben.
Und weil wir zu diesem Zeitpunkt (ca.19/20Uhr) seit einigen Stunden keine Nahrung mehr zu uns genommen haben, sind wir gemeinsam essen gegangen. Wir waren so extrem aneinander gewöhnt, dass wir nicht merkten, dass wir grad 13 Stunden am Stück miteinander verbracht hatten. Beim Essen tauschten wir uns oft über den Tag, die Inhalte und unsere Lehrenden aus. Und nicht selten verfielen wir in die wildesten Lachanfälle. Das tat unendlich gut.
Während ich diese Zeilen hier schreibe, vermisse ich jede einzelne Person aus meiner Gang so sehr.

Mika mit ihrem trockenen Humor und ihrem bewundernswerten Selbstbewusstsein. Immer wenn sie da war, war ich ausgeglichen und konnte mal runterfahren. Max, der mich immer mit einem Lächeln begrüßt hat und einer der gechilltesten Menschen ist, die mir begegnet sind. Er gibt einem das Gefühl, dass du einfach sein darfst. Aga, die mich hat fast sterben lassen vor lachen, die mit ihrem ‘smirk’ wohl jede*n um den Finger wickelt. Egal wo du bist, Aga sorgt schon mit ihrer Anwesenheit für Spaß. Und Paula: die so ein großes Herz hat, dass es wohl für drei Planeten reichen würde, die mich hat zuhause fühlen lassen, an einem Ort tausende Meilen weit weg.
Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich unendlich viel von ihnen gelernt habe und dass diese Ausbildung nicht das gleiche gewesen wäre ohne sie. Ich freue mich jetzt schon unendlich auf ein Wiedersehen.
Wie ihr euch sicherlich vorstellen könnt, waren dies alles Momente der Leichtigkeit: mit diesen Menschen sein, essen, feiern, sonntags mit dem Scooter rausfahren und die Insel erkunden. Eins werden mit der Natur. Durch Yoga fließen. Kleine und große Erfolge feiern und dabei viel Hintergrundwissen erfahren. Spannend wurde es auch wenn sich ‘Kreise schlossen’. Wir beispielsweise über die ‘8 limbs of Yoga’ erfuhren und dann nach und nach einen weiteren ‘limb’ erschlossen, um dann am Ende festzustellen: das ALLES ist Yoga! Nicht (nur) auf die Matte gehen und einen Sonnengruß durchführen, sondern die gesamte Art und Weise, wie wir sind und leben.

Was waren schwierige Momente? Ich geb es zu: ich bin nicht jeden Morgen strahlend aufgewacht und freudig aus dem Bett gesprungen. Vor allem nicht, wenn ich einen Abend vorher lange aus war oder viel Ashtanga geübt habe. Mein Körper hat extrem gearbeitet und das habe ich in jeder Faser gespürt. Es gab einige Situationen mit einzelnen Lehrenden, die ich als problematisch einordne, die mir im Kopf geblieben sind, wo es von der Kommunikation her hätte besser laufen können. Und der pädagogische Wert der abendlichen Filme, ist hinterfragbar.
Was nehme ich mit aus dieser Zeit im Januar 2024?
Ich habe mich die meiste Zeit meiner Ausbildung im Flow-Zustand befunden. Dadurch konnte ich mein Verständnis vertiefen, was Meditation ist, was Yoga ist. Mir wurde bewusst, dass wir viel öfter in meditativen Zuständen sind, als wir denken. Viel mehr, als wenn wir uns todernst auf ein Kissen setzen, die Augen schließen und versuchen uns ganz doll zu konzentrieren jetzt bloß nicht an irgendwas zu denken. Denn das tun wir sowieso. Interessant wird es doch wenn wir bewusst hinschauen, hinhören und hinfühlen was es ist, was uns beschäftigt. Und welche Gedanken immer wieder kommen.
Durch Yoga kann ich in den Flow-Zustand gelangen. Das entscheidende dabei ist meine Atmung. Denn ohne den Atem, ist Yoga eine Aneinanderreihung von Turnübungen.
Deswegen habe ich bewusst geatmet. Den gesamten Januar lang. Jeden Tag. Viele Stunden. Endlich konnte ich abschalten. Diese ewigen Gedanken über Vergangenes. Dieses ständige Grübeln über die Zukunft, die uns ja sowieso in diesem Moment nichts bringt, weil wir die Zukunft nicht kennen können. Wenn man es schafft in den Flow-Zustand durch Yoga zu kommen und das immer und immer wieder, dann wird man - in meinem Falle- süchtig danach. Es fühlt sich einfach viel zu gut an. Einfach dahin schweben und zu merken, dass ich jeden Tag ein wenig länger in bestimmten Positionen sein kann, jeden Tag ein wenig mehr mit dem Atem fließen kann und sich auch physisch kleine und größere Veränderungen zeigen.
Ich begann darüber nachzudenken, was ich eigentlich wirklich will und ob das was ich will das gleiche ist, was ich brauche. Es klingt profan, aber als ich anfing mich mit dieser uralten Tradition zu beschäftigen, kam ich zu ganz ursprünglichen Fragen zurück. Jeden Tag stundenlang mit anderen atmen und Bewegungen ausführen, bot mir die Möglichkeit eine intensive Introspektive zu erleben. Es führte mich in eine persönliche Krise. Ich begann alles zu hinterfragen: Alle Entscheidungen, die ich bis hierhin getroffen habe. Mein Umfeld. Ist Berlin der richtige Ort für mich? Sollte ich irgendwo anders sein? Beschäftige ich mich mit Dingen/Personen, die sich tief in meinem Herzen stimmig anfühlen? Welche Wege gibt es (noch) im Leben und warum sollte ich diese gehen oder nicht gehen?
Zusätzlich zu der intensiven körperlichen und mentalen Erfahrung kam die unendlich schöne Umgebung in der ich mich befand. Jeden Tag unter Palmen einschlafen und aufwachen ließ mich immer mehr von einem anderen Leben träumen, auch wenn das völlig wahnsinnig und total verkitscht klingt. Es fühlte sich so an, als wäre ich genau richtig, in diesem Moment, an diesem Ort, mit diesen Menschen. Es gibt keinen Ort auf der Welt an dem ich besser aufgehoben wäre. Ich kann nicht beschreiben, was das vor allem für mich, die dieses Gefühl noch nicht oft gefühlt hat, bedeutet.
Und vor allem empfand und empfinde ich noch immer: tiefe Dankbarkeit. Für diese Erfahrung, für diese Begegnungen, für diese Reise und für dieses Leben. Ich war noch nie so dankbar, wie in diesem Monat und ich möchte versuchen, das für die Ewigkeit mitzunehmen.
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